Ian Davenport

Cadence

 

15.04.2016 - 16.07.2016

 

 

 

Streifen sind sein Markenzeichen. Vielfarbig vibrierende, energiereiche, farbsatte Streifen, die sich vertikal und dicht an dicht über die Bildfläche ziehen. Doch Ian Davenports Streifen sind nicht nur bunte Linien. Seine umfangreichen Bilder sind grosses Theater. Wer davor steht, sieht ein Flimmern und Flattern. Mehr noch: man glaubt, die Farbe noch rinnen und sickern zu sehen, noch das satte Glucksen und Schmatzen zu hören, den Sound von Farben, die aus Tuben gequetscht und aus Eimern gegossen wird.

 

Farbe ist Ian Davenports Obsession. Wie sie fliesst und strömt, tropft und rinnt. Der britische Künstler studiert ihre Bewegung und Dynamik und experimentiert mit überraschenden Methoden des Farbauftrags. „Ich male nicht, ich dirigiere“, sagt er selbst über seine Arbeitsweise. Mit Nägeln, Giesskannen, Spritzen bringt er die Farbe auf den Malgrund, meist Leichtmetallplatten. Dann lässt er sie laufen, rinnen, sickern und greift mit kleinen Tricks in ihre glatten Bahnen ein.

 

Für seine Puddle Paintings arbeitet Ian Davenport mit dem kontrollierten Zufall. Er setzt Farben dicht an dicht mit einer Spritze an den oberen Rand einer Aluminiumplatte und lässt sie abwärts laufen. Am unteren Rand ist die Platte gebogen. Die glatten Farbstreifen beginnen zu mäandern und sich zu psychedelischen Ornamenten zu verbinden.

 

Farbe war von Anfang an das Leitmotiv für Ian Davenport. Ian Davenport, 1966 in Kent geboren, hat nicht irgendwo Kunst studiert, sondern am renommierten Goldsmiths College. Es war der Ort, an dem sich jene Kunstschaffenden trafen, die als Young British Artists die Kunstszene in Bewegung brachten und sich damit in die jüngere Kunstgeschichte einschrieben. Ian Davenport war einer von ihnen.

 

Als Kunsttudent malte Davenport Farbtöpfe. Damien Hirst beschreibt in seinem Vorwort zu Davenports Katalog einen Atelierbesuch bei seinem Künstlerfreund im Jahr 1987. Davenport war gerade dabei einen Farbtopf zu malen. Hirst gefiel vor allem, dass der Farbtopf leer war, denn: „Zu dieser Zeit spürte ich, dass die repräsentative Malerei leer war. Ich denke, wir alle spürten es.“

 

Ian Davenport reagiert mit seiner Konzentration auf die Farbe nicht nur auf die Vibrationen des Zeitgeistes. Er arbeitet mit dem Pulsieren der Farbe an sich. Sein Umgang mit Malerei folgt rhythmischen Prinzipien. Davenport, der selber auch Musiker ist, folgt dem Diktum Bridget Rileys, die einmal bekannte: „Die Musik der Farbe, das ist es, was ich will.“

 

Davenports Streifen-Bilder sind wie moderne Variationen auf klassische Themen. Und dies im doppelten Wortsinn. Davenport bewundert die Alten Meister und grossen Modernen von Hans Holbein d.J. bis Cézanne. Vor allem ihre Farbkombinationen haben es ihm angetan, Farben, von denen er sagt, dass sie „eigentlich gar nicht miteinander funktionieren sollten, die es aber dennoch tun“. Davenport analysiert digitalisierte Bilder grosser Maler der Kunstgeschichte am Computer, berechnet, welche Farbpalette ein Künstler benutzt hat. Die Bekanntheit von Maler und Werk spielt für Davenport dabei keine Rolle. Ihn interessiert das Zusammenspiel der Farben. In einem langen Prozess komponiert Davenport aus der Farbpalette eines historischen Bildes ein neues Werk, indem er die Farben nimmt und zu einem ebenso klaren wie vibrierenden Streifenmuster orchestriert.

 

Ian Davenports Streifen-Kompositionen erzeugen ein rhythmisches Pulsieren, so belebend wie ein beschwingtes Musik-Stück. Das funktioniert auch und gerade im öffentlichen Raum, wo Davenport auch extreme Formate zu bespielen vermag. Während der Fassadenarbeiten am Jelmoli-Gebäude Zürich, Ecke Uraniastrasse/Seidengasse wird auf der Bauplane ein insgesamt 605 m² grosses „Pop-Up-Kunst-am-Bau“-Projekt von Ian Davenport zu sehen sein. Das Spiel der Farbstreifen auf der Blache changiert im wechselnden Licht und gerät so zu einer faszinierenden Melodie mit vielen kleinen Variationen, die sich den Passanten wie ein Energiekick mitteilt.

 

Alice Henkes

Deutsche Fassung von Margret Powell-Joss

 

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